Kunst und Öffentlichkeit
Das Begriffspaar Kunst und Öffentlichkeit wurde vor allem im letzten Jahrzehnt auf vielfältige Weise sowohl künstlerisch wie theoretisch interpretiert als auch ideologisch strapaziert. Durch die gegenwärtige Kunstpraxis, die in immer neuen Beispielen bewusst und zum Teil radikal auf die Strukturen und Systeme des "Öffentlichen" reagiert, müssen veränderte Diskussionsparameter eingeführt werden, um den großteils veränderten Zugängen gerecht zu werden. Aus unserer heutigen Sicht sind nicht wenige Fragen, auch vor dem Hintergrund wesentlicher - gern ausschließlich den Kategorien Ideologie und Utopie zugerechneter - Projekte und Produktionsansätze der siebziger Jahre, neu zu stellen. Die permanente Veränderung und Erweiterung der Öffentlichkeit in Bezug auf Raum und Konfiguration, ausführliche Recherchen über die Funktion einzelner bzw. die Komplexität und den Zusammenhang grundverschieden konnotierter Systeme untereinander führen nicht nur in der politischen, sozialen oder gesellschaftstheoretischen Analyse zu aufschlussreichen Ergebnissen: Sie bestimmen auch die künstlerischen Strategien. Im Informationszeitalter und in der Mediengesellschaft haben sich auf der einen Seite die Wesensmerkmale und damit auch die Erscheinungsformen des Öffentlichen drastisch verändert. Auf der anderen Seite erfolgt auf der künstlerischen Ebene eine immer präzisere Ausdifferenzierung der Systempraxis, die dazu führt, dass der öffentliche Aspekt von Kunst keineswegs auf einen architektonischen Ort im urbanen Gefüge und damit auf die signalhafte Wirkung innerhalb ästhetisch ohnedies (über)besetzter Räume reduziert wird. Die traditionellen Modelle von Kunst und Öffentlichkeit sind längst einer nachhaltigen Revision unterworfen, nicht zuletzt dadurch, dass sich die KünstlerInnen ohne Scheu vor der Nähe zur "Lebenspraxis", deren konstituierenden Merkmalen und Regeln, auf die Vielfalt öffentlicher Systeme einlassen und ihre Konfigurationen in Relation zu praktizierten Handlungsmustern entwickeln.
Das "öffentliche Bild"
Innerhalb des Komplexes Öffentlichkeit spielen fotografische Bilder eine entscheidende Rolle. Täglich millionenfach neu kreiert, dienen sie der Dokumentation und der Information über öffentliche Sachverhalte sowie der Repräsentation von jeweils systemimmanenten Strukturen. Auf dieser Ebene haben sie im Regelfall nichts von ihrer traditionellen Symbol- und Illusionskraft eingebüßt, auch wenn sie im Bewusstsein des raschen Verbrauchs durch die BenutzerInnen konzipiert und realisiert werden. Nicht erst seit den unüberschaubaren Bilddateien des World Wide Web werden Bilder von KommunikationsstrategInnen als Machtinstrumente eingesetzt, die gegenüber der privaten Bildproduktion vor allem den Vorsprung kalkulierter Inszenierung und technischer Perfektion besitzen. Ausgefeilte visuelle Kodes bestimmen den öffentlichen Raum, in dem über die elektronischen und Printmedien, über CD-Cover, Flyer, Werbeflächen bis hin zu den täglichen Postwurfsendungen ein sich ständig erneuerndes, trotz seiner Kurzlebigkeit gewaltiges Bildarchiv gezielt als Dokument öffentlicher Bildproduktion aufgebaut wird. Ein Bildarchiv, das einerseits den Anforderungen der Globalisierung mit den Ansprüchen auf multinationale Komponenten Stand hält, andererseits der Verortung im lokalen Raum, an der Peripherie, in den nach wie vor aktuellen Zentren der Informations- und Kommunikationsmaschinerie, verpflichtet ist.
Wie und mit welcher Konsequenz kann die künstlerische Fotografie ein "öffentliches Bild" erzeugen, das sich nicht nur in der mediatisierten Welt behaupten kann, sondern darüber hinaus über die verschiedenen Öffentlichkeiten Auskunft gibt und damit die Kunst des Öffentlichen über diesen Zugang als zentrale Frage thematisiert?
25 internationale KünstlerInnen stellen sich für die Fototriennale der Herausforderung, unter dem Begriff "publi©domain", als Paradigma für Räume, in denen und für die Bilder erzeugt werden, die Komplexität jener Strukturen bildlich zu erarbeiten, die Öffentlichkeit ausmachen.
Think Tank
Das Internet hat mit seiner Ambivalenz von globaler Verständigung und lokaler Anbindung (Homepages) ein paralleles Ordnungsmodell zur realen Welt entwickelt und ist heute eines der kompaktesten öffentlichen Kommunikationssysteme. Um die relevanten Bereiche des Öffentlichen in adäquater Weise in den Ablauf des Projekts einzubauen, werden die KünstlerInnen nicht nur parallel für eine erst ab dem Zeitpunkt der Eröffnung "gemeinsame" Ausstellung nominiert, sondern in einer ersten Projektphase eingeladen - gemeinsam mit TheoretikerInnen, diese Diskussion über die verschiedenen Formen von Öffentlichkeit zu führen. Die Beiträge können auf der Homepage von publi©domain öffentlich mitverfolgt und kommentiert werden.
Ausstellung
Entsprechend der thematischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Bildern werden auch mehrere Formen des öffentlichen Umgangs mit ihnen und der öffentlichen Präsentation und Repräsentation von Bildern herangezogen: Die Bilddaten werden in einer Auswahl auf die Homepage der Fototriennale gestellt, in ihrer Gesamtheit (3-5 Bilder pro TeilnehmerIn) am Ausstellungsort über Plotter ausgedruckt und als großformatige Prints präsentiert. Ein Bild pro KünstlerIn wird als Plakat (im Format 238 x 504 cm) affichiert und ist in dieser Form sowohl künstlerisches Produkt als auch Werbeträger für die Veranstaltung. Im öffentlichen Raum findet eine unmittelbare Konfrontation der für die Fototriennale produzierten Bilder mit den unzähligen jederzeit verfügbaren, also im täglichen Gebrauch stehenden, öffentlichen Bildern statt.
Bildkompetenz
Die Übersetzung der Fotografien in Daten, ihre virtuelle Präsenz im Internet, aber auch ihre materielle Erscheinung vor Ort beschreiben die Fotografie als Bilddatei, als visuellen Informationsträger, dem es nicht mehr daran gelegen ist, sich über spezifische und individuelle Präsentationsformen als künstlerische Fotografie zu behaupten. Publi©domain konzentriert sich damit analog zur Bildschirmoberfläche und zu zahlreichen kommerziellen Print-Produkten ausschließlich auf die Bildkompetenz künstlerischer Fotografie, indem das Konzept im Gegensatz zu zahlreichen Handlungsmustern der achtziger und frühen neunziger Jahre der Inszenierung außerhalb des Bildträgers keine Aufmerksamkeit schenkt und daher folgerichtig die vereinheitlichte "rahmenlose" Präsentation an allen genannten Orten mit zum Thema macht. Gleichzeitig verschwindet das Original in den im Archiv gespeicherten und nur aus diesem abrufbaren Datenmengen. Der in der Veranstaltung eingeschlagene Weg hat nicht die Darstellung isolierter subjektiver Befindlichkeiten im Auge, sondern den Dialog des Subjekts mit dem Gesellschaftskörper und dessen jeweils konkreter ideeller und pragmatischer Konfiguration.
Werner Fenz / Ruth Maurer